Neulich beim Kinderarzt
Leserbrief zu "Stellungnahme zum Interview mit der stellvertretenden Leiterin des Gesundheitsamts Aschaffenburg, Regina Rolof", in der Ausgabe vom 18./19. Juli 2020
Anfang der Woche wollte ich bei der Kinderärztin einen Gesprächstermin vereinbaren. Die Sprechstundenhilfe bot mir einen Termin im Oktober an. Als ich erklärte, dass es dringend sei, versprach sie, bei der Ärztin nachzufragen und zurückzurufen.
So kam ich zu einem Termin um 20.30 Uhr. Bei meiner Ankunft waren noch 3 Patienten vor meinem Kind und mir. Erst nach 21 Uhr waren wir schließlich an der Reihe. Gegen 21.30 Uhr verließ ich die Praxis mit einem todmüden Kind. Für die Ärztin jedoch war noch lange nicht Dienstschluss, denn sie war den ganzen Tag über noch nicht dazu gekommen, ihre Post zu lesen. Und so geht das seit Wochen, wie ich auf Nachfrage erfuhr.
Nun mag sich manch einer fragen, wie es zu den beschriebenen Verhältnissen kommt. Schließlich liegt die Grippehochsaison noch in weiter Ferne. Trotzdem sind die Kinderarztpraxen brechend voll. Ursache hierfür sind die Vorgaben des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales sowie des Bayerischen Landesamts für Gesundheit. Denn Kindertagesstätten dürfen laut der „Handreichung für die Kindertagesbetreuung in Zeiten des Coronavirus“ prinzipiell keine Kinder mit Erkältungssymptomen betreuen.
Was also ist zu tun, wenn ein Kind leichte Krankheitszeichen zeigt? Das handhabt jede Kindertagesstätte anders. Manche verlangen die Vorlage eines negativen Coronatests, andere fordern ein Attest des behandelnden Arztes, aus dem hervorgeht, dass das betreffende Kind gesund ist. Dieser Umstand führt nun dazu, dass die ohnehin dünn gesähten Praxen für Kinder- und Jugendheilkunde heillos überfrachtet sind mit Kindern, die Bagatellinfektionen haben. Dadurch fehlt aber die Zeit für andere Patienten, ganz zu schweigen von den U-Untersuchungen.
Umso erstaunlicher ist es, dass sich das Gesundheitsamt Aschaffenburg offenbar nicht dafür zuständig fühlt, obwohl Seuchenschutz und -prävention primäre Aufgabe dieser Behörde ist. Vielmehr ist zu wünschen, dass die öffentliche Hand die niedergelassenen Ärzte bei ihrer Arbeit unterstützt, bis die neuen Regelungen für den Infektionsschutz in Kindertagesstätten im Herbst in Kraft treten.
Im übrigen erscheint es im höchsten Maße irritierend, wenn die stellvertretende Leiterin des hiesigen Gesundheitsamts keinerlei Verständnis für die Nöte der Arztpraxen aufweist und somit keinen Handlungsbedarf sieht. Eine verantwortungsbewusste Verwaltung sollte Interesse dafür zeigen, ob gesetzgeberische Vorgaben praktikabel sind, gegebenenfalls auf eine Nachjustierung hinwirken und v. a. dafür Sorge tragen, dass die ärztliche Grundversorgung in Krisensituationen weiterhin gewährleistet werden kann. Und diese ist im Falle der Pädiatrie momentan definitiv bedroht.
Katrin Bauer, Aschaffenburg